Querschnitt eines Baumstammes, bei dem die ringförmige Maserung des Holzes, die sogenannten Jahresringe, deutlich sichtbar ist.
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Komm, lass uns altern – aber mit System

Gesundheitspolitik

Altern ist kein Drama, sondern eine Errungenschaft. Und es ist unsere Aufgabe, diese Errungenschaft zukunftsfähig zu gestalten. Der demografische Wandel ist eingebettet in globale, systemische Krisen. Aber er ist keine Krise an sich. Die Herausforderung besteht darin, das Gesundheitswesen so aufzustellen, dass es aus Lebensjahren gute Lebensjahre macht.

von MMag.a Maria M. Hofmarcher-Holzhacker
Ökonomin, HealthSystemIntelligence

Vom Kostenfaktor zum Zukunftssektor

Finanzkrise, Pandemie, Klimakrise, soziale Spannungen: Seit 2008 stehen unsere Gesellschaften unter Dauerdruck. Das betrifft auch das Gesundheitswesen, das nach Pensionen der größte Ausgabenblock ist, und das längst nicht mehr isoliert betrachtet werden kann. Mehr denn je zeigt sich, dass Gesundheit die zentrale Voraussetzung für gesellschaftliche und wirtschaftliche Resilienz und damit für unseren Wohlstand ist.

Gleichzeitig verändert sich die wirtschaftliche Logik: Dienstleistungen werden vor allem im Gesundheits- und Sozialbereich immer wichtiger. Während Digitalisierung und Automatisierung in vielen Branchen für mehr Effizienz sorgen, steigt hier die Bedeutung von Arbeit mit und für Menschen.

Das zeigt: Gesundheit ist nicht nur ein Kostenfaktor, sondern ein Zukunftssektor. Dazu kommt, dass im Gesundheitswesen mehr Produktivität möglich ist. Und sie ist notwendig.

Nur wenn Gesundheits- und Pflegesystem frühzeitig und abgestimmt zusammenarbeiten, bleibt Versorgung sowohl effizient als auch menschlich.
Portraitfoto von von MMag. Maria M. Hofmarcher-Holzhacker, Ökonomin, HealthSystemIntelligence

MMag.a Maria M. Hofmarcher-Holzhacker

Ökonomin, HealthSystemIntelligence
Sieben Trends für 2035

Gemeinsam mit dem Umweltmediziner Hans-Peter Hutter habe ich sieben zentrale Entwicklungslinien für das Gesundheitswesen bis 2035 identifiziert:

1. Ambulantisierung: Weg vom Bett, hin zum Menschen. Der Ausbau der Primärversorgung ist zentral.

2. Automatisierung: KI, digitale Tools und smarte Systeme sollen nicht Menschen ersetzen, sondern Arbeitskraft produktiver machen.

3. Strukturveränderungen: Krankenhauskonzentrationen und -schließungen sind unausweichlich.

4. Telemedizin & Fernmonitoring: Versorgung wird sowohl räumlich als auch zeitlich entgrenzt.

5. Psychische Gesundheit gleichstellen: Mental Health ist kein „Nebenthema“, sondern systemrelevant.

6. Gesundheit als Integrationsmotor: Besonders bei Bevölkerungsgruppen mit Migrationshintergrund ist Zugang zu Gesundheit essenziell.

7. Public Health stärken: Sanitätswesen braucht juristisch und strukturell einen Sprung ins 21. Jahrhundert.

Gesundheit ist ungleich verteilt

Trotz aller Fortschritte ist Gesundheit in Österreich weiterhin sozial und regional ungleich verteilt. Menschen mit geringerem Einkommen oder Migrationsgeschichte zeigen deutlich schlechtere Gesundheitszustände. Auch die Gesundheitsausgaben entwickeln sich in den Bundesländern sehr unterschiedlich. Die Ursachen dafür sind noch nicht klar. Diese Unterschiede treffen auf ein Umfeld, in dem ökonomische Belastungen zunehmen. In keinem anderen westeuropäischen Land sind die unteren Einkommensgruppen so stark von den Preissteigerungen betroffen wie in Österreich. Wer wenig hat, verliert auch an Gesundheit.

Prävention statt Verteilungskampf

Die Gesundheitsausgaben in Österreich sind nicht nur hoch, sie sind auch stark konzentriert: 5 % der Bevölkerung verursachen rund 30 % der Gesamtkosten. Es handelt sich dabei überwiegend um ältere, chronisch erkrankte Menschen mit komplexem und dauerhaftem Versorgungsbedarf. Gleichzeitig kommt die Hälfte der Bevölkerung mit weniger als einem Viertel der Ausgaben aus.

Die zentrale Frage lautet daher: Lässt sich dieses Ausgabenprofil durch gezielte Maßnahmen abflachen? Etwa durch effektive Prävention, strukturierte Betreuung chronisch Kranker und eine vorausschauende Steuerung entlang des gesamten Versorgungspfads? Die Antwort lautet: Ja, wenn wir wollen.

Gesundheit und Pflege: Zwei Systeme, ein Ziel

Der Bruch zwischen Gesundheits- und Pflegesystem ist strukturell bedingt, aber nicht unausweichlich. Unterschiedliche Finanzierungsmodelle und Zuständigkeiten erklären bestehende Brüche, dürfen jedoch keine Ausrede für mangelnde Kooperation sein. Denn eines ist evident: Mit medizinischer Erstversorgung allein ist es nicht getan. Pflege und soziale Dienste tragen die Langzeitverantwortung. Sie müssen daher von Beginn an systematisch eingebunden sowie ressourcengleich ausgestattet werden.

Die Herausforderung zeigt sich deutlich am konkreten Beispiel: Ein Schlaganfall-Patient verursacht zunächst hohe medizinische Akutkosten. Im weiteren Verlauf steigen jedoch vor allem die sozialen Pflegeausgaben. Nur wenn Gesundheits- und Pflegesystem frühzeitig und abgestimmt zusammenarbeiten, bleibt Versorgung sowohl effizient als auch menschlich.

Die Agenda für die nächsten Jahre ist eindeutig:
  • Mehr ambulante Versorgung am Best Point of Service

  • Bessere Personalausstattung und höhere Produktivität

  • Stärkere Verzahnung von Gesundheit und Pflege

  • Strukturelle Reformen, Modelle für gesamthafte Planung und Finanzierung

  • Zielgerichtete Investitionen, Sicherstellung der Nachhaltigkeit der Finanzierung

Fazit

„Komm, lass uns altern“. Ja, aber mit einem System, das Altern nicht als Defizit begreift, sondern als Teil eines langen, selbstbestimmten Lebens. Gesundheit darf nicht als Kostenrisiko betrachtet werden. Sie ist eine Grundvoraussetzung für Teilhabe, wirtschaftliche Stabilität und gesellschaftlichen Zusammenhalt

Diesen und weitere Beiträge finden Sie in unserem Demografie-Paper.

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Headerbild: Joel & Jasmin Førestbird – Unsplash

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